Machterhalt auf Kosten der Demokratie

Ein Blick in aktuelle Umfragen zur politischen Stimmung in Deutschland macht deutlich, dass CDU und FDP in den Ländern und im Bund schweren Zeiten entgegengehen. Aus Angst vor Wahlniederlagen greift das schwarz-gelbe Lager jetzt in Niedersachsen auf demokratisch fragwürdige Mittel zum Machterhalt zurück: Im Schweinsgalopp ändern sie Kommunalverfassungsrecht und Wahlrecht zu ihren Gunsten, denn 2011 wird in den niedersächsischen Kommunen gewählt. Ein Beitrag von Matthias Stoffregen

Kopfschüttel und anfängliche Sprachlosigkeit über die Machenschaften der schwarz-gelben Landesregierung.

Die skandalöse Geschichte von Machtgier und Bürgerentmündigung begann relativ harmlos im Juni dieses Jahres. Der damalige Ministerpräsident Christian Wulff legte einen von der Landesregierung beschlossenen Gesetzentwurf „zur Zusammenfassung und Modernisierung des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts“ für die Beratungen im Landtag vor. Neben einer zaghaften Stärkung von Ehrenämtern sah dieser Entwurf unter anderem vor, die Niedersächsische Gemeindeordnung (NGO) in der neuen Kommunalverfassung aufgehen zu lassen und Begrifflichkeiten in den Regelwerken anzugleichen.

„Mit dem Entwurf hatte selbst die Opposition kaum Probleme“, erinnert sich Klaus-Peter Bachmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Bachmann: Es war zwar mehr als fragwürdig, warum man die gewachsenen eigenständigen Kommunalverfassungsgesetze, wie die NGO, „neutralisieren“ muss. Aber grundsätzlich hätte man sich sicher verständigen können. Ende September ließen jedoch CDU und FDP im Landtag die Katze aus dem Sack: Sie haben sich darauf geeinigt, Stichwahlen abzuschaffen und die einzelnen Wahlbereiche erheblich zu vergrößern. Ferner planen sie, die Möglichkeiten wirtschaftlicher Betätigungen für Kommunen einzuschränken. Dass derartige Vorschläge auf massive Kritik stoßen würden, war den Regierungsfraktionen offenbar schon vorher klar. Sie vereinbarten deshalb, auf mündliche Anhörungen der kommunalen Spitzenverbände und der kommunalen Unternehmen zu verzichten, verlagerten die ersten Beratungen in den Innenausschuss (zunächst geplant in nichtöffentlicher Sitzung!) und wollen bereits im November den veränderten Gesetzentwurf mit den Änderungen im Kommunalwahlrecht im Landtag verabschieden. Die Kommunalverfassungsänderungen sollen dann im Dezember folgen.

Die SPD-Opposition im Niedersächsischen Landtag wird die Vorhaben von CDU und FDP zwar nicht verhindern können, aber sie hat sich vorgenommen, Bürger und Kommunen über die massiven Folgen der Vorhaben im Rahmen von fünf Regionalkonferenzen zu informieren. Eine dieser Konferenzen fand am Montag im SPD-Bezirk Braunschweig statt. Über 60 Gäste, darunter viele kommunale Mandatsträger aus der Region, ließen sich von Klaus-Peter Bachmann die Änderungen erläutern. „Die Abschaffung der Stichwahl und die Erweiterung der Wahlbereiche sind deutliche Zeichen eines politischen Kuhhandels zwischen CDU und FDP“, kritisierte Bachmann.

Der Verzicht auf die Stichwahl bedeute, so der Landtagsabgeordnete weiter, dass zukünftig ein Bürgermeister mit einer unterhalb der absoluten Mehrheit liegenden Stimmenzahl gewählt werden könne. Von einer breiten demokratischen Legitimation könne dann keine Rede mehr sein. Die größeren Wahlbereiche führten wiederum dazu, dass es extremistische Parteien, die in der Fläche nicht verankert sind, dank CDU und FDP nun deutlich einfacher hätten, eine gültige Liste für einen Wahlbereich einzureichen. „Die Änderungen der Wahlbereiche begünstigen natürlich auch die Wahlchancen der FDP „, erklärte Bachmann den Gästen der SPD-Veranstaltung.

Der Verein „Mehr Demokratie e.V.“ hat die Abschaffung der Stichwahlen ebenfalls unter die Lupe genommen und untermauert Bachmanns Befürchtungen mit Zahlen: In 26 von 82 Stichwahlen konnte sich im Jahr 2006 der beim ersten Wahlgang Zweitplatzierte durchsetzen. In über 65 Prozent dieser 26 Stichwahlen erhielten die Gewählten eine größere Zustimmung als der Erstplatzierte beim ersten Wahlgang. Von den 26 „betroffenen“ Kandidaten gehörten elf der SPD und vier der CDU an. „Die Zahlen belegen, dass vor allem die CDU mit der Abschaffung der Stichwahl künftige SPD-Bürgermeister verhindern will“, kommentierte Bachmann.

In einer Stellungnahme kommt der Verein „Mehr Demokratie e.V.“ zu dem Schluss, dass „zukünftig Bürgermeister und Landräte ins Amt kommen, die nicht von der Mehrheit der Wahlberechtigen getragen werden und dass den Wählern Partizipationschancen genommen werden, da sie nicht alle ihre Präferenzen zum Ausdruck bringen können bzw. sie an der Wahlentscheidung gehindert werden.“ Der Verein möchte jetzt mit einer landesweiten Unterschriftenaktion im Internet Druck auf die Landesregierung, mit dem Ziel ausüben, die Abschaffung der Stichwahlen noch zu verhindern.

Auf kräftige Gegenwehr aller Kommunen im Land setzt Klaus-Peter Bachmann bei der von CDU und FDP geplanten Einschränkung der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen. Die Einschränkungen könnten bewirken, dass Städte und Gemeinden ihre Beteiligungen an Verkehrsbetrieben, Krankenhäusern, Energieversorgern oder Müllentsorgern privaten Unternehmen überlassen müssten. „Wer in Zeiten, in denen die kommunale Handlungsfähigkeit ohnehin massiv bedroht ist, Städten, Kreisen und Gemeinden auch noch jede Möglichkeit zum Wirtschaften versagt, betreibt eine kommunalfeindliche Politik“, findet Bachmann.

Der Braunschweiger Landtagsabgeordnete unterstützt die Unterschriftenaktion von „Mehr Demokratie e.V“. Er rief die Gäste bei der Abendveranstaltung des SPD-Bezirks dazu auf, für die Aktion zu werben. Außerdem versprach Bachmann den Anwesenden, dass eine SPD-geführte Landesregierung nach der Landtagswahl 2013 die schwarz-gelben Beschlüsse wieder kassieren wird.

 

Weitere Informationen gibt es auf den folgenden Seiten. Besonders sei auf „Mehr Demokratie e. V.“ hingewiesen.