


Berichterstattung vom SPD-Parteitag auf spd.de
Berichterstattung vom SPD-Parteitag in der Braunschweiger Zeitung
Ein Erlebnisbericht von Tim Vitic (zurzeit Praktikant im SPD-Bezirksbüro Braunschweig) vom Dresdener Bundesparteitag:
Nach drei Stunden Autofahrt ist das Hotel der niedersächsischen Teilnehmer/Innen am Bundesparteitag der SPD in Dresden erreicht. Von hier aus starten die Delegierten und andere Besucher in ihren Tag während des Aufenthaltes in Dresden und treffen gelegentlich zufällig aufeinander. Ein guter Ort, um die Stimmung unter den Angereisten aufzufangen. Was ist zu spüren von dem, wovon die Presse seit der verlorenen Bundestagswahl berichtet? Sind hier die internen Grabenkämpfe zu beobachten, welche von der Presse gewittert werden? Sind Auseinandersetzungen mit Tendenzen zu weiteren Spaltungen feststellbar? „Zerfleischt“ sich hier die SPD, wie die Bild-Zeitung festzustellen glaubte?
Fehlanzeige. Sowohl in der Lobby des Hotels, als auch an der Hotelbar und während des später am Donnerstag stattfindenden Niedersachsenabends herrscht eine eher unaufgeregte Stimmung. Man ist vielleicht nicht euphorisch, sondern eher vorsichtig abwartend, was die nächsten drei Tage ergeben werden, man ist schon gar nicht niedergeschlagen oder lethargisch.
Der Niedersachsenabend bestätigt diesen Eindruck. Die Besucher wirken weder angespannt noch unangemessen gelöst. Auch hier hat die Stimmung eine Tendenz, eher etwas verhalten zu sein. Dementsprechend fällt der Applaus nach den Reden von Garrelt Duin, Klaus Wowereit, Manuela Schwesig, und Sigmar Gabriel höflich, aber nicht überschwänglich aus. Beliebtes Thema am Abend sind Schätzungen des für Sigmar Gabriel zu erwartenden Wahlergebnisses. Die parteiinternen Prognosen schwanken zwischen einer Zustimmung von 70 % – 85 % für den designierten Parteivorsitzenden.
Der nächste Tag beginnt früh. Dank der guten Organisation ist der Veranstaltungsort per S-Bahn und Bus gut erreichbar. Die Fahrt durch das Dresdener Stadtgebiet ist beeindruckend. Leicht erhöht gelegen bietet die S-Bahn-Station am Hotel einen Blick hinab auf zentrale Stadtgebiete. Man spürt in dieser Stadt die Nähe zu osteuropäischen Staaten und der nur 160 Kilometer entfernten Stadt Prag. Die S-Bahn Linie führt entlang schöner, oft noch nicht sanierter Fassaden. Nach wie vor sind aber auch deutliche Spuren der Misswirtschaft aus DDR Zeiten erkennbar. Das Messegelände wird nach ca. 20 Minuten Fahrtzeit erreicht.
Hier bietet sich ein ganz anderes Bild. Das Corporate Design der SPD dominiert die sehend wahrgenommenen Eindrücke. Dem Ausstellungsbereich scheint fast die gleiche Bedeutung zugeschrieben zu werden wie dem Plenum. Letzteres wird erst erreicht, nachdem ein Großteil der Aussteller durchschritten wurde. In großer Anzahl aufgestellte Bildschirme übertragen das Geschehen aus dem Plenum. Die Möglichkeit auf diesem Wege dem Geschehen im Plenum zu folgen und gleichzeitig ins Gespräch mit anderen Teilnehmern des Parteitages zu kommen wird breit genutzt. Die hier geführten Diskussionen wirken authentischer, da unbeobachtet und nicht aufgezeichnet von Kameras. Im Plenum gelangt man dagegen eher zu dem Eindruck, einem Schauspiel zu folgen. Jedoch zwei herausragende Ereignisse durchbrechen diesen Eindruck. Zum einen ist Sigmar Gabriels Rede vor seiner Wahl zum Parteivorsitzenden zu nennen. Selbst Kritiker sind von der Rede überzeugt, die sicherlich einen Beitrag zu dem hervorragenden Wahlergebnis von 94,2 % geleistet hat. Zum anderen wurde die Verabschiedung Franz Münteferings von vielen Gästen und Delegierten sehr bewegt wahrgenommen. Auch im Ausstellungsbereich war der Lautstärkepegel in diesem Moment gedämpft und die eine oder andere Träne der Rührung wurde von Taschentüchern aufgenommen.
Dass die prognostizierten Wahlergebnisse von 70 % – 85 % mit 94,2 % deutlich übertroffen wurden, hat zu einer positiven Überraschung geführt, der aber keine wirkliche Erleichterung gefolgt ist. Einer Mehrzahl der Teilnehmer am Parteitag scheint bewusst zu sein, dass die eigentliche Arbeit erst jetzt beginnt. Vielleicht ist auch eine Spur Skepsis oder Respekt vor der Ungewissheit darüber, was die Zukunft bringt vorhanden. Denn was bedeutet eine „Öffnung der Partei“ und „mehr Mitbestimmung“ für die Parteiarbeit vor Ort? Ist überhaupt schon durchgedrungen, was dies in der Konsequenz wirklich bedeutet? Verbunden hiermit ist auch eine völlig andere Art der Kommunikation, da Laien (in Bezug auf politisches Arbeiten) einbezogen werden sollen. Werden diese majorisiert von denen, die sich bereits innerhalb der Partei durchgesetzt hatten, oder versucht man ernsthaft deren Wissensbestände einzubeziehen?
Es scheint fast so, als hätten die Teilnehmer noch gar nicht registriert, welche tiefen Veränderungen möglicherweise auf sie zukommen. Damit meine ich nicht die Rolle in der Opposition, sondern vor allem die angestrebte Öffnung der Partei und Umbrüche, welche durch tatsächlich mehr durchgeführte Mitbestimmung der mittleren und unteren Parteiebenen einhergehen. Die Vorgaben sind gemacht. Jetzt liegt es bei den Mitgliedern, diese wahrlich auszuführen. Ich habe noch Zweifel, ob dieser Wandel wirklich stattfinden wird.
Nach vier Tagen Parteitag werden diese Gedanken jedoch überwogen von Müdigkeit und Erschöpfung, die mich Respekt lehren, insbesondere vor den Delegierten, die ein unglaublich hohes Arbeitspensum zu absolvieren hatten. Die Rückfahrt aus Dresden erfolgte mit der Bahn. Sie dauerte nicht drei, sondern fünfeinhalb Stunden.