

“Festzuhalten ist für mich schon jetzt, dass es eine Zukunft ohne Armut und gesellschaftliche Ausgrenzungen nur gibt, wenn alle Kinder gleiche Chancen auf eine qualifizierte Förderung und gleiche Bildungschancen haben”, sagt die stellvertretende AWO-Bezirksvorsitzende Cornelia Seiffert vor den 140 Gästen der Sozialkonferenz in der Kantine “Alte Schmiede” der BMA in Braunschweig.
Als spektakulär bezeichnet SPD-Bezirksvorsitzender Sigmar Gabriel, dass der Anstieg von Armut bereits viele Jahre vor der aktuellen Wirtschaftskrise festgestellt wurde, und dass viele Menschen nur noch durch das Angebot von Tafeln ihren täglichen Lebensmittelbedarf decken könnten, dass immer mehr Kinder betroffen seien, und dass Kinder und Jugendliche im Bildungssystem durch Armut ausgegrenzt würden.
Ulrich Gransee vom DGB-Bezirk Niedersachsen nennt bedrückende Zahlen: “22,2 Prozent der Beschäftigten arbeiten für einen Niedriglohn, davon 70 Prozent Frauen!” Die Gesamtfamiliensituation sei entscheidend für das Armutsrisiko. Menschen, die unter das Armutsrisiko fielen, könnten sich nicht um gesellschaftspolitische oder kulturelle Fragen kümmern. “Ihre Energie wird benötigt für die Beantwortung von Fragen, wie: Wo kann ich wohnen, wo kann ich essen?”
“Armut raubt Kindern ihre Zukunft” lautet der Titel einer Langzeitstudie, die das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) in Frankfurt/Main seit 1997 für die AWO erstellt. Projektleiterin Gerda Holz stellt Ergebnisse vor:
Kinderarmut habe materielle, soziale, gesundheitliche und kulturelle Auswirkungen. So sparen von Armut betroffene Familien zuerst bei Urlauben und Ausflügen. “Ein verantwortungsbewusstes Handeln der Eltern”, bestätigt Gerda Holz. Aber: “Kinder müssen die Welt entdecken!” Die Eltern selbst verzichten auf Ausgehen und Kinobesuche. Auch hier handeln die Eltern verantwortungsbewusst, aber auch hier gelte: “Es fehlt die Regeneration der Eltern, die der Familie zugutekommen müsste.”
Eines der zentralen Ergebnisse der Studie laute: “Kinder sind nicht nur Privatangelegenheit der Eltern. Kinder sind auch öffentliche Verantwortung!”
Für die Region Braunschweig hat gerade die Diakonie eine Studie in Auftrag gegeben mit dem Titel: “Handlungsorientierte Sozialberichterstattung für das Braunschweiger Land.” In der Region Braunschweig werden dazu ab August 2.000 Haushalte befragt.
Andreas Kämper von der Gesellschaft für Organisation und Entscheidung erläutert das Ziel der Studie: “Die Lebenslage von Haushalten mit Kindern und geringem Einkommen soll verbessert werden, es sollen Handlungsempfehlungen gegeben werden.” Im Juni 2010 – dem Jahr der Armut – soll die Studie abgeschlossen sein.
In einer von AWO-Bezirksgeschäftsführer Rifat Fersahoglu-Weber moderierten Podiumsdiskussion erörtern Vertreter aus Politik, Gewerkschaft und bürgerschaftlichem Engagement die unterschiedlichen Aspekte von Armut und zeigen Lösungsmöglichkeiten auf. Am Schluss der Diskussion stehen konkrete Forderungen:
“Kostenfreiheit für Bildungseinrichtungen, um Chancengleichheit für Kinder zu schaffen”, fordert AWO-Bundespräsidiumsvorsitzender Wilhelm Schmidt. Ulrich Gransee vom DGB will ein über Tarifverträge gesteuertes Einkommen. “Und da, wo es nicht geht: Mindestlöhne!”
Stadtrat Ulrich Markurth, Dezernent für Soziales, Gesundheit und Jugend der Stadt Braunschweig: “Ich wünsche mir viel mehr Ressourcen, um Betreuung, Integration und Bildungschancen für Kinder zu erhöhen!”
Dagmar Kessling vom Bundesverband Deutsche Tafel wünscht sich nur eins: “Dass Kinder mit vollem Bauch lernen können!”
Ganztagsschulen mit einem Mittagstreff mit kostenfreiem Essen fordert auch Ruth Naumann, Bürgermeisterin der Samtgemeinde Schöppenstedt. “Außerdem kleinere Gruppen in Kindertagesstätten und Schulen.”
Sigmar Gabriel fordert zusammenfassend – stellvertretend für AWO, DGB und SPD als Veranstalter der Konferenz – die Einrichtung von Netzwerken für ein gesundes Aufwachsen, den Ausbau von Kitas zu Familien-Zentren, die Sozialberichterstattung als Pflichtaufgabe des Landes Niedersachsen, bessere Bildungsqualität, kostenlose Bildung und gleiche Bildungschancen für alle, gute und gerechte Unterstützung von Familien, gerechten Mindestlohn für alle, einen Rettungsschirm für Kinder und für Menschen, die von Armut betroffen sind, sowie das Verankern von Kinderrechten im Grundgesetz.“ Ohne soziales Kulturprogramm wird uns das Land um die Ohren fliegen.”
In seinem Schlusswort teilte AWO-Geschäftsführer Rifat Fersahoglu-Weber mit, dass seitens der Veranstalter weitere Sozialkonferenzen geplant seien.